Dieses Mal im Interview ist Prof. Jürgen Meisel, Professor für romanische Philologie der Uni Hamburg im Ruhestand und an der Universität Calgary in Kanada als adjunct Professor. Zurzeit arbeitet er an einem Ratgeber für Eltern zum Thema multilingualer Spracherwerb.
Seine Forschungsthemen sind unter anderem
- Spracherwerb und Mehrsprachigkeit,
- der natürliche Zweitspracherwerb und
- der simultane Spracherwerb (wie man mehr als eine Sprache gleichzeitig lernt) – besonders im Kindesalter.
Im Interview sprechen wir über die folgenden Themen:
- Wie lernt ein Kind mehr als eine Sprache beim Heranwachsen?
- Bis zu welchem Alter ist es möglich eine zweite Sprache akzentfrei und auf muttersprachliches Niveau zu lernen?
- Ist es möglich im Kindesalter mehr als eine Sprache auf muttersprachliches Niveau zu bringen?
- Was sind die Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern beim Erlernen einer Sprache?
Hier ist die Tonaufnahme vom Interview und darunter findest Du die Zusammenfassung:
Zusammenfassung Interview mit Prof. Jürgen Meisel zum Erlernen von mehreren Sprachen gleichzeitig im Kindesalter auf muttersprachlichem Niveau
- Eine wichtige Erkenntnis für den multilingualen Spracherwerb im jungen Alter war, dass die natürliche Sprachentwicklung nicht chaotisch verläuft, sondern reguläre Erwerbsstufen festzustellen sind.
- Früher war die Meinung vorherrschend, dass ein Kind, das mit zwei oder mehr Sprachen aufwächst, diese zuerst vermischt lernt und erst nach und nach differenziert. Das stellte sich aber als falsch heraus; Kinder sind praktisch von Geburt an bereits in der Lage, verschiedene Sprachen zu unterscheiden.
- Kinder sind optimale Sprachlerner. Sie können mit zwei Sprachen aufwachsen, ohne dass eine der beiden darunter leidet. Die gängige Sorge unter Eltern, ein mehrsprachiges Aufwachsen könnte die sprachliche Entwicklung behindern, ist somit unbegründet.
- Der Mensch hat eine angeborene Sprachfähigkeit, und somit auch die natürliche Möglichkeit, mehrere Sprachen zu erlernen. Zwei Faktoren sind hierbei entscheidend:
- Das Alter eines Kindes ist entscheidend für sein sprachliches Potential.
- 90% des Spracherwerbs eines Kindes erfolgen zwischen erstem und viertem Lebensjahr.
- Während Kinder neue Sprachen generell besser aufnehmen können als Erwachsene, zeichnen sich dennoch bereits zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr negative Unterschiede in der Aufnahmefähigkeit ab. Diese werden durch neuronale Veränderungen in diesem Stadium verursacht, die Wahrscheinlichkeit einer optimalen Bildung von Syntax (Satzbau) und Phonologie (Aussprache / Akzent) nimmt ab.
- Darum sollte die Aufnahme bereits von Geburt an optimal unterstützt werden.
- Zwischen dem siebten und elften Lebensjahr wird das Gelernte schlussendlich gefestigt; diese Konsolidierungsphase ist sehr wichtig für die zukünftige Fähigkeit, die Sprache einzusetzen.
- Das Level an sprachlichem Input ist der zweite bedeutende Faktor.
- Es ist wichtig für das Kind, den Sprachen ausreichend ausgesetzt zu sein. Kinder können durch normale Interaktion gewinnbringend lernen, es sind nicht zwingend eigene Erziehungsmaßnahmen nötig.
- Durchaus wichtig ist aber die konsequente Fortführung der Sprachbildung. Eine vielfältige Auseinandersetzung mit beiden Sprachen – die sich nicht nur auf bestimmte Themen beschränkt – ist essenziell, um nicht in einer Sprache zwar flüssig, aber auf einem niedrigen Level zu sprechen.
- Es ist also nicht nur wichtig bilingual, sondern vor allem bikulturell gebildet zu werden, also dass das Kind beide Kulturen auch versteht.
- Empfehlungen für Eltern, die ihre Kinder mehrsprachig erziehen wollen:
- Zuallererst sollte viel mit dem Kind gesprochen werden. Der Spracherwerb erfolgt nur durch Sprache, die direkt an das Kind gerichtet ist. Passive Aufnahme wie Fernsehen oder das Überhören von Gesprächen ist nicht ausreichend; es muss sich um Interaktionen handeln.
- Wenn durchgehend viel geredet wird, dann ist auch bei Verwendung von zwei oder mehr Sprachen der nötige Input gedeckt.
- Außerdem sollte die Sprachbildung kontinuierlich bestärkt werden. Ein zwischenzeitlicher Abbruch einer Sprache ist unbedingt zu vermeiden.